Auch Selen nimmt den Bienen die Orientierung

Selen irritiert Bienen und führt zum früheren Tod.
Bild Bigstock, Foto: PPetro - spielt Selen beim Bienensterben eine wichtige Rolle?

Das Bienensterben ist inzwischen ein bekanntes Phänomen. Offenbar ist es nicht nur ein einzelnes Gift, das die Bienen krank und orientierungslos macht. Über die Rolle der Neonicotinoide und der Handystrahlung haben wir hier schon berichtet. Jetzt kommt auch noch Selen als mögliche Ursache für das Bienensterben hinzu.

Selen ist ein Spurenelement. Das bedeutet: Lebendige Organismen brauchen Selen, es muss allerdings die richtige Menge sein. Zu viel Selen ist giftig, beim Menschen ebenso wie bei Bienen. Menschen, die zu viel Selen aufgenommen haben, leiden unter Verdauungsstörungen, Kopfschmerzen und Haarausfall, ihr Atem riecht nach Knoblauch. Auch Bienen bekommen Probleme, wenn sie zu viel Selen aufnehmen. Es stört sie bei der Nahrungssuche, verschlechtert ihr Gedächtnis und lässt sie früher sterben.

Woher kommt das Selen?

Selen kommt natürlicherweise im Boden vor. In den Pazifikstaaten enthalten die Böden von Natur aus höhere Mengen Selen. Bei uns ist die Agrarindustrie nicht unschuldig an der Selenanreicherung. Ein Selenmangel bei Rindern wirkt sich nämlich negativ auf das Immunsystem und die Fruchtbarkeit der Tiere aus. Also wird anorganisches Selen dem Futter zugesetzt, was weniger gut aufgenommen werden kann. Oder die Futterpflanzen werden mit Selen gedüngt, sodass die Pflanzen es aufnehmen und die Tiere mit organischem Selen versorgt werden.

Neue ungesunde Quellen kommen hinzu. In der Nähe von Kohlekraftwerken und Müllverbrennungsanlagen findet sich mehr anorganisches Selen (Selenat), weil Kohle auch Selen enthält, das bei der Verbrennung freigesetzt wird. Wie sich diese Formen von Selen auf Honigbienen auswirken, wurde vor einigen Jahren untersucht ([1]).

Nektarsuche und Selen

Können Bienen erkennen, ob eine Nahrung das Spurenelement enthält? Ihnen wurden Zuckerlösungen angeboten, die entweder nur Zucker und Wasser oder unterschiedlich hohe Konzentrationen von Selenat oder Selenomethionin enthielten. Dabei zeigte sich, dass die Bienen nicht zwischen den gesunden und giftigen Angeboten unterschieden. Sie konnten den Selengehalt also nicht erkennen. In ihrer natürlichen Umgebung würden Honigbienen also auch Pflanzen als Nahrungsquelle nutzen, die viel Selen gespeichert haben.

Wenn man die Antennen der Bienen mit Zuckerlösung in Kontakt bringt, reagieren sie normalerweise mit einem Saugreflex. Sie erkennen, dass ein Nahrungsangebot – normalerweise Nektar – vorhanden ist und greifen zu. Bekamen sie aber Zuckerlösung mit Selenomethionin, dann wurde der Saugreflex geringer. Bei Selenat war das nicht der Fall.

In einem weiteren Versuch bekamen die Bienen zuerst eine Fütterung mit Selen, Stunden später wurde ihnen wieder Zuckerlösung angeboten. Wenn sie Selenat bekommen hatten, zeigten sie eine schwächere Reaktion auf das Nahrungsangebot. Bei Selenomethionin war das nicht der Fall.

Beide Selenarten führen also dazu, dass Bienen den Nektar nicht mehr so gut erkennen und aufnehmen. Das hat Auswirkungen nicht nur für den Ernährungszustand der einzelnen Biene, sondern betrifft das ganze Volk.

Lebensdauer der Bienen

Die Wissenschaftler stellten fest, dass die Honigbienen früher starben, wenn sie mit Selen in Kontakt kamen. Bei einer hohen Selenat-Konzentration (6000 µg pro ml Zuckerlösung) lag die Sterberate zum Beispiel bei 67 Prozent. Auch die Dauer der Selen-Exposition ist wichtig. Wer nur kurz mit Selen in Kontakt kam, hatte bessere Überlebenschancen. Tiere, die fünf Tage lang Selen gefüttert bekamen, starben dagegen zu 89 Prozent (Selenat) oder zu 81 Prozent (Selenomethionin).

Lern- und Gedächtnisstörungen durch Selen?

Eine neuere Studie ([2]) untersuchte die Wirkung von Selen auf das Gedächtnis der Honigbiene. Wie verändert sich die Merkfähigkeit der Tiere, wenn sie nicht-tödlichen Dosen von Selen ausgesetzt sind? Interessanterweise waren in diesem Versuch keine besonders hohen Dosierungen von organischem oder anorganischem Selen im Einsatz. Die Wissenschaftler wählten Konzentrationen unterhalb von denen, die im Nektar von Selen-kontaminierten Pflanzen vorkommen.

Mit Hilfe von Duftstoffen lässt sich das Lernverhalten und Langzeitgedächtnis der Honigbienen testen. Leider zeigte sich, dass schon sehr geringe Mengen Selen ausreichten, um ihr Gedächtnis zu beeinträchtigen. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass ein Bienenvolk durch solche Störungen in Folge von Selen-Kontakt stark geschwächt werden kann.

In China oder den USA hat das Bienensterben schon lange dramatische Ausmaße angenommen. Ob wir in Europa die Chance wahrnehmen, das Steuer rechtzeitig herumzureißen?

 

[1] Hladun KR et al.: Selenium Toxicity to Honey Bee (Apis mellifera L.) Pollinators: Effects on Behaviors and Survival. In: PLoS ONE 2012; 7(4): e34137, 13. April 2012, doi:10.1371/journal.pone.0034137.

[2] Burden CM, Elmore C, Hladun KR et al.: Acute exposure to selenium disrupts associative conditioning and long-term memory recall in honey bees (Apis mellifera). Ecotoxicol Environ Saf. 2016 May; 127: 71-9. doi: 10.1016/j.ecoenv. 2015.12.034. Epub 2016 Jan 21.

 

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